Vielbeschäftigt sind sie, die ersten grünen Landräte Deutschlands: Jens Marco Scherf und Wolfgang „Beppo“ Rzehak. Wie füllen sie ihr Amt aus, was sind die Herausforderungen und Chancen? Und was machen sie 2020? Ein Gespräch mit GRÜNE Bayern (gruene-bayern.de).
Eure Wahl vor 5 Jahren war regelrecht historisch. Habt ihr selbst damit gerechnet? Wie war die Anfangszeit?
Beppo: Ich habe sehr unerwartet gegen den absoluten
Favoriten von den Freien Wählern gewonnen. Einen Moment werde ich nie
vergessen: Wir haben am Wahlabend mit vielen Menschen gefeiert; die
Presse hat gerade ein Foto gemacht, alle haben gejubelt. Nur meine Frau
stand leichenblass daneben und sagte leise, aber vernehmlich: „Scheiße“.
Sie dachte, dass sich jetzt unser ganzes Leben ändert. Und in der Tat
arbeitet man schon sehr viel als Landrat. Aber ich habe trotzdem Zeit
für die Familie, auch weil ich keine weiteren Nebenämter angenommen
habe. Die Bürgerinnen und Bürger haben sich schnell an den grünen
Landrat gewöhnt – nur die CSU hat etwas länger gebraucht …
Jens Marco: Ich habe die Wahl sportlich genommen, nach
dem Motto: „Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.“ Mein erstes
Ziel war die Stichwahl: Wenn die CSU erst einmal den Nimbus der
Unbesiegbarkeit verloren hätte, müsste alles drin sein, dachte ich. Am
Ende haben wir es geschafft, die Menschen zu überzeugen, mit einem
denkbar knappen Sieg. Der Einstieg im Landratsamt war großartig: Die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sind mir mit einer sehr großen
Professionalität und Loyalität begegnet, vom ersten Tag an. Die
Bevölkerung war anfangs vor allem neugierig, was ich wohl anders machen
würde als mein Vorgänger, der 28 Jahre im Amt war.
Die bayerischen Landräte werden spöttisch auch als „kleine Könige“ bezeichnet. Was ist das eigentlich für eine Rolle?
Beppo: Als Landrat ist man zwar nur für ein relativ
kleines Gebiet verantwortlich, aber dort hat man in der Tat viel
Einfluss. Der Begriff „König“ gefällt mir natürlich nicht: besonders
nach den Skandalen meines Vorgängers will ich zeigen, dass es
bescheidener und transparenter geht, mit mehr Bürgernähe. Und die Leute
erwarten auch, dass man nahbar ist, bei Jubiläen und Feiern erscheint
und Grußworte hält. Es ist also auch ein repräsentatives Amt.
Gleichzeitig muss man manchmal Entscheidungen treffen, die nicht allen
gefallen.
Was haben eure Landkreise gemeinsam, was unterscheidet sie?
Jens Marco: Man könnte sagen, dass wir Bayern im
Griff haben: Beppo vom Süden her, ich vom Norden. In Miltenberg prägt
uns zum einen die Natur: Unser Landkreis hat insgesamt 58% Waldanteil,
zwei Drittel unserer Fläche sind Landschaftsschutz- oder
Naturschutzgebiete. Zum anderen sind wir ein klassischer
Industrie-Landkreis, ja sogar der industrielle Kern der Metropolregion
Frankfurt-Rhein-Main. Wir haben viele mittelständische, oft
familiengeführte Unternehmen, die auf dem Weltmarkt mithalten. Eine
spannende Mischung! Bis vor 200 Jahren waren wir übrigens Teil des
Kurfürstentums Mainz, deshalb brauchen Beppo und ich manchmal auch einen
Dolmetscher.
Beppo: Wir verstehen uns schon, wir
können ja Fremdsprachen. Aber im Ernst: So unterschiedlich ist der
Landkreis Miesbach gar nicht. Einen hohen Waldanteil haben wir auch,
über die Hälfte des Landkreises steht unter Landschaftsschutz. Tourismus
und die Landwirtschaft mit über 30% Biobauern bestimmen den Süden, der
Norden ist auch bei uns von Hightech-Firmen geprägt.
Die Europawahl hat es gezeigt: Klima- und Umweltschutz sind vielen Menschen wichtig. Was könnt ihr vor Ort dafür tun?
Beppo: Da
gibt es viele kleine Bausteine: Wir versorgen unsere eigenen Gebäude
mit erneuerbaren Energien und erzeugen den Strom nach Möglichkeit
selbst. Bei Neubauten setzen wir auf Holzbauweise, wir haben einen
Klimaschutzbeirat eingeführt und eine Klimaschutzmanagerin angestellt.
Und wir sind ein glyphosatfreier Landkreis: Das hat der Kreistag mit den
Bäuerinnen und Bauern beschlossen. Es liegt zwar nicht in unserer
Macht, dieses Mittel komplett zu verbannen, aber diese
Selbstverpflichtung hat trotzdem Signalwirkung weit über den Landkreis
hinaus.
Jens Marco: Ich glaube auch, dass es
wichtig ist, als Landkreis eine Vorbildrolle einzunehmen. Auch wenn der
Energieverbrauch unserer öffentlichen Gebäude weniger als 1% des
Gesamtverbrauchs ausmacht, nutzen wir natürlich erneuerbare Energien.
Unsere mittelständischen Unternehmen mit ihrer Innovationskraft sind
dabei wichtige Verbündete: So wird unser Schulzentrum mit der Abwärme
einer Papierfabrik beheizt. Auch beim Verkehr gibt es Spielraum: Wir
haben gerade ein Radwegekonzept entwickelt und den Fußverkehr
ausgeweitet. Und wir kämpfen für eine Taktverdichtung auf unseren
Eisenbahnstrecken und für die Elektrifizierung.
Stoßt ihr dabei nicht auch auf Widerstände?
Beppo: Der
Mensch hat immer Angst vor Veränderungen: Er befürchtet, dass ihm etwas
weggenommen wird und weiß nicht, was auf ihn zukommt. Ich sage dann
immer: In Miesbach ist nur wegen eines grünen Landrats nicht die grüne
Revolution ausgerufen worden. Ein grüner Landrat macht die kleinen
Schritte, die die Menschen nicht vor den Kopf stoßen – aber er macht
sie. Wir halten nicht nur Sonntagsreden zum Klimaschutz, wir stehen voll
dahinter und nähern uns Schritt für Schritt einem lebenswerteren
Landkreis.
Jens Marco: Ja, Veränderungen sind
möglich, wenn man sie schrittweise angeht und die Menschen beteiligt.
Ein gutes Beispiel ist unser Landschaftspflegeverband, den wir stark
ausgebaut haben: Dort sitzen Naturschützer und Bäuerinnen an einem Tisch
und entwickeln gemeinsam Projekte. Erst neulich haben unsere Landwirte
den Artenschutz auf die Agenda ihres Landbautags gesetzt und Fachleute
aus dem Naturschutz dazu eingeladen. Dass die Landwirte in Miltenberg
gerade in einer Zeit, in der die Stimmung bayernweit so aufgeheizt ist,
mit den Naturschützerinnen zusammensitzen und über Artenschutz sprechen,
das finde ich einfach fantastisch.
Wie kam das Volksbegehren Artenvielfalt in Miesbach an?
Beppo: Es
gibt schon einige Landwirte bei uns, die sich vor den Kopf gestoßen
gefühlt haben. Das Volksbegehren hat aber eine sehr wichtige Diskussion
über eine verantwortungsvolle Landwirtschaft angestoßen, von der unsere
vielen Biobauern eigentlich nur profitieren können. Gerade bei den
jüngeren Landwirten sehe ich auch ein Umdenken in diese Richtung. Wir
sind fest zum Volksbegehren gestanden, auch ich als Landrat habe das
Volksbegehren immer verteidigt.
Jens Marco: Hier
wird nochmal die besondere Aufgabe eines Landrates oder einer Landrätin
deutlich. Gerade in solchen Konfliktsituationen muss man sehr präsent
sein und mit allen Seiten reden – erst einzeln, dann auch gemeinsam –
und dabei aber fest zur eigenen Haltung stehen. Das war auch 2015 unsere
Aufgabe, als so viele Geflüchtete zu uns kamen: Rauszugehen – auch zu
den Leuten, die Sorgen und Bedenken haben –, ansprechbar zu sein, den
Leuten zuzuhören, sie wieder zusammenzuführen. So verhindern wir, dass
gesellschaftlich kontroverse Situationen entgleisen.
Beppo: Ich
glaube, dass wir Grüne da den anderen etwas voraus sind, weil wir nicht
polemisieren, weil wir die Probleme pragmatisch anpacken – und weil für
uns nicht die Partei zuerst kommt, sondern der Landkreis, die Gemeinde
oder die Stadt. Wir haben gezeigt, dass wir mit Krisen gut umgehen
können. In der Flüchtlingsdebatte waren wir der ruhende Pol, der
stabilisierende Faktor: Wir haben einfach unsere Aufgaben erledigt. Auch
diesen Januar, als ich wegen der starken Schneefälle den
Katastrophenfall festgestellt habe, wussten die Leute: Der Landrat, die
Verwaltung, der Katastrophenstab – sie haben es im Griff. Die
überwältigende Unterstützung aus ganz Bayern und über alle Parteigrenzen
hinweg war dabei eine große Hilfe. Das THW Miltenberg war übrigens auch
bei uns vor Ort …
Du warst der erste Landrat, der den sogenannten „K-Fall“ festgestellt hat.
Beppo: Das
stimmt, anfangs wurde ich deshalb auch belächelt. Aber ich höre eben
auf meine Fachleute – das ist vielleicht ein weiterer Vorteil von uns
Grünen. Wenn der THW, die Feuerwehr oder der Katastrophenschutz sagen,
dass das nötig ist, dann nehme ich ihr Urteil ernst. Schließlich geht es
um unseren Landkreis, vielleicht sogar um Menschenleben – und darum,
noch größeren Schaden zu verhindern. Später haben andere Landräte
nachgezogen. Wir als erste hatten den Vorteil, dass wir Hilfskontingente
bekommen haben, die sonst vielleicht nicht mehr verfügbar gewesen
wären.
Jens Marco, hattest du auch schon so große Herausforderungen zu bestehen?
Jens Marco: Die
größte Herausforderung war sicher 2015, als wir in kurzer Zeit viele
Geflüchtete aufgenommen haben. Das großartige Engagement der vielen
Ehrenamtlichen hat dabei sehr geholfen. Aber es gibt auch gewisse
Dauerbaustellen, die herausfordernd sind: An einer Schießanlage ist der
Boden mit Blei belastet. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten da zu Recht
eine schnelle Lösung, aber wir müssen auch komplexe Verfahren
abarbeiten: Es gilt, Bodenschutzrecht und Abfallrecht zu beachten und
Verfahren am Verwaltungsgerichts zu bestreiten. Da muss man sich Zeit
nehmen und erklären, dass man verantwortungsvoll handelt, obwohl es
dauert, bis das Problem gelöst ist.
Und was macht ihr eigentlich 2020? Tretet ihr wieder an?
Jens Marco: Ja, klar! Das habe ich schon zur Halbzeit im Sommer 2017 angekündigt, nachdem die Rückmeldungen zu meiner Arbeit überwiegend positiv waren. Am 15. März werbe ich noch einmal um sechs Jahre Vertrauen.
Beppo: Ja, sicher! Wir haben fünf gute Jahre gehabt und viel erreicht, ein grüner Landrat hat dem Landkreis gut getan. Jens Marco und ich freuen uns beide natürlich, wenn wir wiedergewählt werden – aber auch, wenn wir noch ein paar mehr Kolleginnen und Kollegen von den Grünen bekämen. Da ist noch viel Platz auf der Landkarte für andere grüne Landräte und Landrätinnen!
Vielen Dank für das Gespräch!
Lust auf Kommunalpolitik? Die Themenseite der bayerischen Grünen beantwortet wichtige Fragen für Neueinsteiger.
Themenseite Kommunalpoltik…